Geschichten

Nur zwei Achtel des Medizinrades

Unsere Gesellschaft baut ebenso wie unser Wirtschaftssystem primär auf Individualismus – die Freiheit der/des Einzelnen ist grundlegend (auch wenn uns das während der letzten 2 Jahre vielleicht anders erschien). Daneben haben das Gemeinwesen und und das Gemeinwohl, das Miteinander und der Ausgleich einen kleinen Stellenwert. Ich habe mir die Frage gestellt, wieviel Raum denn ‚Individualismus‘ in den zu uns tradierten Medizinrädern einnimmt. Klar, in traditionellen Kulturen war das Gemeinwesen viel wichtiger, doch diese Medizinräder haben auch für uns heute Bedeutung. Nehme ich z.B. das Vier Schilde Medizinrad, so finde ich am meisten Individualismus im Westschild – die Jugendlichen ringen um ihre Identität und sie lernen, für sich selbst einzutreten. Abgrenzung von anderen, vielleicht sogar Rebellion im Eigeninteresse, Individuation als Voraussetzung für Selbstwerdung. Doch schon im Westschild geht es auch um die Hinwendung zum Du, um Intimität, um Nähe und soziales Verhalten. Auf dem Weg ins Nordschild geht es nochmal drum, dass die (jungen) Erwachseneren ihren Platz in der Welt finden, insbesondere auch ihre Arbeit. Es ist für sie befriedigend und beglückend, etwas zu finden was ihnen entspricht, was sie gerne machen, wo sie sich verwirklichen können. Doch ebenso wichtig ist in diesem Schild der Erwachsenen, dass sie ihren Platz in der Gemeinschaft aller Erwachsenen finden, wo ihr Beitrag auch Sinn macht für die Gemeinschaft aller Wesen, Mensch und Natur. (Ja klar bei uns wird das über Geld vermittelt, aber da das keine Wirtschaftsabhandlung werden soll, lasse ich das mal beiseite.)

Es sind also grad mal 2/8tel der 8/8tel des Medizinrades, wo Individualismus bedeutend ist. Im Ostschild – dem Schild der Elders, der Alten, nimmt zwar die Freiheit im Vergleich zu den Erwachsenen, die sich um die ganze Gemeinschaft kümmern müssen, wieder zu. Doch da hier auch Spiritualität und die Transformationskraft des sichtbarer werdenden Todes mit gestalten, ist dieses Schild eigentlich besonders an dem Gelingen der Gemeinschaft ausgerichtet: Droht der Norden in Strukturen zu erstarren, die nicht mehr hilfreich sind, dann fährt der Osten dazwischen – für das Ganze, für das Heilsame! Ja und im Südschild (der Kinder) sind überhaupt das Zusammen gehören, Verbunden sein, Sich kümmern, Zugewandt sein der Kern: Noch sind die Kleinen abhängig von all dem!

Das teaching dieses Medizinrades scheint mir klar: unsere Gesellschaft hat sich viel zu weit entfernt von einer heilsamen Balance zwischen Freiheit und Verbundenheit, Individualismus und Gemeinschaftsorientierung. Paradoxerweise hat gerade die Coronazeit, bei allem was sie uns abgefordert hat und bei allen Fehlern, die gemacht wurden, gerade auch sichtbar gemacht, was wirklich zählt: Wir können nur miteinander weitergehen – auch wenn das kein einfacher Weg ist!

Ich hatte dieses Gefühl, als Anfang 2020 mein Mann Franz P. Redl starb und mit ihm der Mitbegründer unserer Wilderness Schule: Ein hierarchisches Schulmodell wird uns nicht weit bringen, und ich entschied mich gemeinsam mit den anderen Lehrer*innen der Shambhala Wilderness Schule für Soziokratie als Organsiationsform. Seit nunmehr 2 Jahren haben wir die Schule umstrukturiert und es ist Zeit für unseren 1. Community Day – proudly we present and invite: unsere kleine Gemeinschaft lädt die größere Gemeinschaft aller Interessierten ein. Frei nach dem Motto: Wenn du schnell voran kommen möchtest, geh alleine; wenn du weit kommen möchtest, geh gemeinsam …

Mögen jene 6/8tel des Medizinrades, die Orientierung an Gemeinschaft und Verbundenheit als Leitlinie haben, wieder mehr in den Blickwinkel rücken, im Kleinen wie im Großen!

Foto © public co auf Pixabay

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