Die hilfreiche und heilende Kraft moderner Wilderness Übergangsrituale
Ich war tief berührt (und diese Berührtheit hat seither nicht aufgehört), als ich – gemeinsam mit meinem Mann Franz P. Redl – Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrtausends in Berkeley in der Buchhandlung GAIA das Buch „The Roaring of the Sacred River. The Wilderness Quest for Vision and Self-Healing“ von Steven Foster und Meredith Little fand: Zurück gehen in die Natur, um diese Zirkularität wieder zu finden in uns, um „Übergange“ zu verstehen und zu benennen (aha, das ist es was sich grad so shaky anfühlt!) und eine einfache, klare, sinnvolle Struktur und Landkarte in die Hand zu bekommen, um das Leben in seiner Essenz zu navigieren! Wir waren anderen Ansätzen begegnet: Ökopsychologie, Tiefenökologie, Natives wie Sun Bear oder Swift Deer, ich hatte damals bereits etwa 10 Jahre in der umweltökonomischen Forschung gearbeitet, die Umweltbeweung … Nichts hatte uns beide so getroffen wie Steven und Meredith – aus ihren Büchern sprach so viel Liebe zur Welt, zur Natur, zu den Menschen und wir erahnten die Tiefe und Begeisterung ihrer Arbeit! Die beiden hatten zuerst in Marin/Kalifornien „Rites of Passage“ gegründet und sind dann aufs Land nach Owens Valley/Kalifornien gesiedelt, wo sie die School of Lost Borders gründeten, die es heute noch gibt. Das genannte Buch war 1989 erstmals erscheinen, 1997 wieder aufgelegt, da fanden wir beide es im GAIA (das, wie ich gerade im Internet gesehen habe, kurz darauf aufgrund der Konkurrenz des Internet schließen musste). Es sollte so sein!
Besonders hatte mich u.a. gepackt, dass es offenbar nicht nur lineare Entwicklung und Aufstieg gab, sondern dass ihr Medizinrad der 4 Schilde zyklisch war und in sogar zwei der vier Schilde ging es um Abstieg (im Westschild) bzw. Auflösen (im Ostschild). Während im Westen ein Abstieg stattfindet, um sich zu finden und gut im Norden seinen Platz einnehmen zu können, lehrt der Osten, wie wichtig Loslassen des Vorhergegangenen, Auflösen von altbewährten Strukturen für Erneuerungen ist. Endlich bekam Krise (wie ich sie immer wieder erlebt hatte) einen doppelten neuen Sinn.
Über 25 Jahre später ist es für mich so weit – mein Übergang in den Osten, das große Loslassen steht an: 2025 werde ich mit 68 Jahren zum letzten Mal meine Seminare in der Wilderness Schule anbieten. Dem ist viel voraus gegangen an Kreisen ums Rad, an Höhen und Tiefen, scheinbaren Sackgassen und Tunnelblicken, aber auch ekstatischen und freudigen „Aha’s!“: Aha, jetzt verstehe ich; aha, so geht das Loslassen; aha, ich fliege nicht auf die Nase, sondern scheine irgendwie nach oben zu fliegen oder zu fallen;1 aha und ja – ich lasse ja gar nicht ins ganz Leere los, da sind Hände, die nehmen was ich loslasse, auf … und ja: in diese Hände hinein kann ich aus meinen Händen gut loslassen …
Doch zuvor möchte ich Euch meine persönliche Wilderness Geschichte erzählen (Geschichten erzählen gehört ja zur Essenz unserer Arbeit!):
Wir brachten das Buch und unsere Begeisterung nach Hause. Peter Wetzler fuhr als erster 1998 rüber nach Kalifornien zu Steven und Meredith, um die Ausbildung zum Visionquestleiter zu machen. Er kam total begeistert und irgendwie verändert zurück, im Jahr darauf fuhr Franz hinüber – er hatte Feuer gefangen und er schien eine Heimat gefunden zu haben. Auch ihn hatte diese Begeisterung nie mehr verlassen! Bei mir dauerte es noch ein paar Jahre, bis ich in die kalifornische Wüste fuhr zu meinem Monthlong Training, ich war ja gerade noch mit 2 anderen Ausbildungen beschäftigt (Integrative Body Psychotherapy in der Schweiz und 5 Rhythmen in den USA). Aber dann: mit einem Pickup mit Ladefläche zum Kochen ging es vom Flughafen Los Angeles ab nach Owens Valley zu Meredith und Steven. Zwei Wochen Teachings der 4 Schilde bei Ihnen zuhause und danach vierzehn Tage (mit Visionssuche Teachings sowie Vor- und Nachbereitung) im Death Valley … Ich sollte zum ersten (und nicht zum letzten Mal) vier Tage und vier Nächte alleine in der Natur gehen, um mein altes Ich sterben zu lassen und mich in die neue mid-life Claudia rein zu verwandeln …welch guter Ort Death Valley für diese tiefe und transformative Erfahrung doch war!
In Österreich gründeten Peter, Franz und ich die Wilderness Schule (zuerst „Schule der verlorenen Wege“, dann „Shambhala Wilderness Schule“). Es gab noch nicht so viele Menschen, die in dieser Zeit in Europa in der School of Lost Borders das Training gemacht hatten. Wir verbanden uns mit ihnen – mit Irmtraut Schäfer, Heiko Nitschke, Sylvia Koch-Weser u.a., und langsam begann sich ein deutschsprachiges Visionssuche Netzwerk zu bilden. Heute haben deren jährlichen Treffen manchmal 100 Leute … Die Ausläufer der School of Lost Borders waren in Europa angekommen. Seit kurzem gibt es sogar einen „Ableger“ der School of Lost Borders in Spanien!
Die österreichische Wilderness Schule fand ihre organisatorische Heimat im Shambhala, das Franz in den 80er Jahren gemeinsam mit anderen gegründet hatte. Ein Danke an dieser Stelle für diese organisatorische Heimat in Wien! Ohne Shambhala wäre die Wilderness Schule wohl nicht zu dem geworden, was sie heute ist! Peter wandte sich anderen Tätigkeiten zu, so waren es Franz und ich, die über mehr als 15 Jahre die Schule leiteten, Visionssuchen und andere Seminare anboten, eine Ausbildung kreierten und über viele Jahre anboten und so fand die Arbeit stete Verbreitung. Einige österreichische Kolleginnen waren in der Zwischenzeit auch in diesem Feld tätig geworden, einige davon unsere Schülerinnen, andere direkt bei der School of Lost Borders ausgebildet. Nicht, dass es bei uns – oder auch im deutschsprachigen Netztwerk oder im internationalen Netwetzwerd nie Konkurrenz oder Konflikte gab … Doch unsere gemeinsame Basis – die Natur sowie gemeinschaftsbildende Werkzeuge des Sprechens und Hörens – war immer wieder unterstützend im Anerkennen, dass es Vielfalt braucht, um eine reiche Entwicklung des Ganzen zu ermöglichen.
Und so hat sich ein großer Reichtum entwickelt! Mittlerweile gibt es ja sogar auch populäre ähnliche Ansätze: von Waldbaden bis hin zu Naturerfahrungen für Manager:innen hat sich die Bedeutung der Rückverbindung mit der Natur herum gesprochen. Unsere School of Lost Borders Tradition hat inmitten dieser Strömungen ihr eigene hochqualitive und kräftige Besonderheit bewahrt!
2020 kam eine große Wende auf mich und uns zu – nach Jahren mit einer degenerativen schweren Erkrankung ging Franz aus diesem Leben! Bis zuletzt wollte er Lehrer sein, auch im Rollstuhl und auf umfangreiche Hilfe angewiesen. Auch für diese Hilfe möchte ich hier allen danken, die rund rum waren um uns, in der Nähe geblieben sind, näher gerückt sind, als wir sie brauchten – ohne Euch wäre all das auch nicht möglich gewesen. Sein Tod war in großes Gehenlassen nicht nur für mich als seine Frau, sondern auch als seine Partnerin in der Schule.
Was sollte ich tun? Die Schule alleine weiter leiten? Einen neuen Partner suchen? … Ich hatte kurz zuvor von der Organisationsform Soziokratie gehört (die amerikanische Open Floor Schule war so organisiert) und war inspiriert, das hörte sich nach zukunftsfähiger Struktur an: In Kreisen organisiert … wie gut passt das denn zum Medizinrad der 4 Schilde! Und so startete ich im April 2020 – unterstützt von Gyuri Bàràny vom Soziokratie-Zentrum Österreich – mit einigen meiner Schülerinnen gemeinsam in diese neue Ära! Heute ist die Shambhala Wilderness Schule erfolgreich und nachhaltig soziokratisch organisiert, zur Zeit sind wir 13 Lehrerinnen. Wir haben die Ausbildung neu strukturiert, wir bieten viele verschiedene Seminare an – wie schon zur Zeit mit Franz zeichnet unsere Schule u.a. die Betonung der Körperorientierung aus. Entsprechend gibt es in vielen Seminaren auch Bewegung und Tanz, ebenso andere kreative oder auch im engeren Sinne schamanische Ansätze, Seminare für Frauen, Männer und Jugendliche.
Und heute?
Nach bald vier Jahren in dieser Shambhala Wilderness Schule „Neu“ ist es für mich Zeit, dem Ende meiner Zeit hier ins Auge zu schauen: Ich bin so stolz auf das Baby! Was Franz und ich kreierten und wie wir es in der größeren Gruppe seit vier Jahren erneuert und erweitert haben!
Es fällt mir gerade nicht schwer loszulassen (es gibt auch die anderen Momente, die traurigen, ängstlichen etc. und das ist gut so!) – ich gebe in gute Hände, meine Kolleg:innen übernehmen die Verantwortung, sie sind schon hinein gewachsen und ich darf abgeben! Und es wartet ein neuer Lebensabschnitt auf mich, der sich teilweise schon zeigt, teilweise erst erwartet und gefunden und entgegen genommen werden will. Kürzlich habe ich meine zwei Leitungsfunktionen abgegeben an Gabriele Maria Höfinger und Alfred Kwasny – danke an Euch beiden, dass Ihr bereit seid und Euch traut und reinspringt, Ihr habt mein Vertrauen! Und: wie gut dass wir ja in die Soziokatie eingebettet sind, wo „Leitung“ relativ ist, weil sie in Kreisen gehalten wird, weil es eine bestimmte überaus kluge und integrative Art gibt, Beschlüsse zu fassen oder Menschen in Positionen zu wählen und vieles mehr!
Und was mach ich noch? Ich bin noch da … unterstützend und teilhabend, bis auf weiteres … Und: 2025 werde ich noch einmal eine Visionssuche in den Nockbergen leiten – gemeinsam mit Wolfgang Loibl, darauf freue ich mich sehr! Und: In einem Jahreszyklus von vier Wochenenden gehe ich 2025 nochmal mit Euch ums Rad (im Frühling gemeinsam mit Silke F. Häusler) – dafür hab ich mir ein (in meinen Augen) würdiges Thema ausgedacht: Leaning and Expanding – in jeder Himmelsrichtung wartet ein anderes Hineinlehnen und Ausdehnen auf uns – auch darauf freu ich mich sehr! Und ich entdecke ein Leben jenseits der Arbeit, eine neue Beziehung wagen und geniessen, mit dem Wohnmobil reisen, Tango tanzen und vieles mehr …
Last but not least danke ich Euch liebe Teilnehmer:innen an meinen Seminaren und an den Visionsuchen, aber auch Euch, die Ihr bei meinen Kolleg:innen wart oder seid – ohne Euch würde die Arbeit nicht gedeihen!

Mögen all diese Erfahrungen und Arbeiten und Berufungen gelingen und gesegnet sein! May we be blessed!
May it help transform our world towards a better one …
Lieben Gruß,
Claudia
1 „Falling Upward“ ist ein Buch von Richard Rohr über die 2. Lebenshälfte.
Fotos: © Claudia R. Pichl